Haifischbecken mit Hackordnung. Plädoyer für eine neue Feedbackkultur


„Feedback is breakfast for champions“, lautet der vielzitierte Ratschlag des Organisationsentwicklers Rick Tate.[i] Damit meint er, dass die Unternehmensführung das Feedback von Mitarbeitern nicht nur zulassen, sondern es geradezu aktiv einfordern sollte. Denn Feedback gilt als Grundbedingung für den Unternehmenserfolg gerade solcher Organisationen, die sich als Lernende begreifen. Und Lernen ist, so ein weiterer Gedanke, ohne Feedback schlichtweg unmöglich.[ii]
Damit Mitarbeiter und hier insbesondere Führungskräfte ihre Kompetenzen kontinuierlich verbessern können, wurde das so genannte Multi-Rater-Feedback oder 360-Grad-Fedback entwickelt. Hier werden die Kompetenzen und Leistungen von Fach- und Führungskräften aus unterschiedlichen Perspektiven eingeschätzt: Mitarbeiter und Kollegen kommen hier genauso zu Wort wie Vorgesetzte oder Kunden. Ein Feedback-Rundumschlag: 360 Grad eben. Dabei kommt insbesondere den Mitarbeitern eine tragende Rolle zu, denn schließlich sind diese diejenigen, die an der Basis sitzen und wissen, was bei der täglichen Arbeit funktioniert und was nicht, so Prof. Dr. Walter Bungard, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Mannheim.[iii]

Ohne Unternehmenskultur keine Feedbackkultur
Deswegen sollte man meinen, dass gerade Unternehmen und Organisationen, die dezentral organisiert und damit fern der Basis sind, größtes Interesse an solchen umfassenden Feedback-Runden haben müssten. Haben sie vielleicht auch – und nicht nur in den Leitbildern. In den Qualitätsmanagementsystemen sind Feedbackprozesse jedenfalls ein fester Bestandteil und gehören zur Regelkommunikation.
Was das QM-System meiner Überzeugung nach jedoch nicht per se regeln kann, einfach weil sich die Persönlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht regeln lässt (oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Persönlichkeit erst gar nicht regeln lassen wollen), ist die Unternehmenskultur. Diese muss aber stimmen, um Feedback geben zu können. Wenn die Unternehmenskultur nicht „stimmt“ – warum auch immer –, dann werden sich die Mitarbeiter sehr gut überlegen, ob sie riskieren sollen, ein offenes und ehrliches Feedback zu geben. Breakfast for champions – das kann schließlich auch bedeuten, dass der Feedbackgeber selbst zum Frühstück verspeist wird…

Kommunikationsgefälle
Durch Kommunikationswissenschaftler wie Schulz von Thun und Watzlawick, Linguisten wie Searle und von Polenz oder auch Humoristen wie Loriot und Hallervorden wissen wir, dass Kommunikation bereits unter Gleichrangigen kein leichtes Unterfangen ist. Übertragen wir dies nun auf die Unternehmenswirklichkeit, bedeutet dies, dass es durchaus heikel sein kann, zu den Führungsqualitäten, fachlichen Leistungen und auch menschlichen Seiten eines Vorgesetzten Stellung zu nehmen. Dass Kommunikation in solchen Fällen gelingt, dazu gehören zwei: der Vorgesetzte und sein Mitarbeiter.
Einmal vorausgesetzt, der Subalterne ist intellektuell dazu in der Lage, eine einigermaßen objektive Einschätzung der Arbeitsergebnisse und des Verhaltens seines Vorgesetzten vorzunehmen, und er vermag auch den richtigen Ton zu treffen, dann bleibt immer noch das Faktum des Gefälles, dass nämlich des Subalternen finanzielle, persönliche und berufliche Zukunft oftmals direkt von demjenigen abhängt, den es zu beurteilen gilt. Kann man dies dann noch einen herrschaftsfreien Diskurs nennen? Wohl kaum. Asymmetrische Kommunikation trifft den Sachverhalt wohl besser.
Hinzu kommt außerdem der Umstand, dass eine so genannte „anonyme“ Befragung wohl schwerlich diesen Namen zu Recht trägt, wenn das Team lediglich aus fünf, sechs Kolleginnen und Kollegen besteht.

Mimosen und andere Neurosen
Nun sind nicht alle Vorgesetzten high professionals und überdies so souverän, dass sie automatisch professionell reagieren, insbesondere dann nicht, wenn es um sie selbst geht. Wie wird das Feedback wohl ausfallen, wenn sowieso alle wissen, dass der Vorgesetzte (aus welchen Gründen auch immer) damit nicht wird umgehen können? Das kann man sich sehr leicht vorstellen. Und was der Subalterne alles zu erwarten hat, wenn er sich dennoch äußert, obwohl er an sich ehrbare Gründe wie der Sicherung eines Geschäftsfeldes oder gar des gesamten Standortes hat, das kann man sich ebenfalls leicht vorstellen: Ignoranz, Sanktionen, Repressionen, Mobbing (und zwar als Bossing und Staffing, denn irgendein konkurrierender Kollege lässt sich schon instrumentalisieren).
Das kann dann leicht anstrengend werden. Und de facto ist dies mit dem vorschnellen Ende der Karriere gleichzusetzen: no future, zumindest im eigenen Haus. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, mag da schon der ein oder andere in vorauseilendem Gehorsam gedacht haben, bevor er sich auf die Lippen biss, die Faust im Sack machte und seine berechtigte Kritik zum wiederholten Male hinunterschluckte.
Um irgendwann an Magenkrebs zu enden? Und ist es das wert? Natürlich nicht, denken viele. Und so ist es kein Wunder, dass gerade die Motivierteren unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über kurz oder lang ihren Hut nehmen.
Wer bleibt, sind die Vorgesetzten. Und eine Unternehmenskultur, die den Namen nicht verdient.

RON – der Return on (non-)investment
Es wäre nun durchaus interessant, wie sich ein solcher hausgemachter Brain-drain betriebswirtschaftlich wie volkswirtschaftlich auswirkt. Mitarbeiter kündigen innerlich, lange bevor sie schließlich gehen; die Stelle wird neu ausgeschrieben, das Wiederbesetzungsverfahren zieht sich hin und verschlingt Ressourcen; die derweil anfallende Arbeit wird auf den Schultern der Kollegen verteilt, die über Mehrarbeit klagen und mit Ausfällen reagieren; Kunden werden unzufrieden und springen ab. Dies alles ließe sich monetär beziffern. Doch die eigentliche Frage ist, warum es überhaupt dazu kommt. Wieso erhalten Führungskräfte kein offenes und substanzielles Feedback?
Mindestens zwei Gründe können hier angeführt werden:

1. Wer kritisiert, setzt sich dem Verdacht aus, entweder illoyal zu sein oder aus Profilierungssucht zu handeln, d.h. durch (wohlplatzierte) Kritik am Stuhl des Chefs zu sägen. Dabei sollte Kritik als konstruktiv ausgelegt werden. Kritik ist „ein positives Signal, viel besser als das Schweigen der vielen, die sich nicht kümmern oder aufgegeben haben. Kritischen Mitarbeitern liegt das Schicksal des Unternehmens am Herzen, sie denken mit und wollen die Zukunft konstruktiv mit gestalten“.[iv]  Also nicht immer gleich deswegen, um den Chef zu demontieren, sondern weil die Unternehmenszukunft einfach gleichzeitig die ihrige ist.

2. Führungskräfte befinden sich in einem Haifischbecken mit Hackordnung. Was bedeutet das? Sie sind umgeben „von konkurrierenden Gleichgestellten sowie weisungsgebundenen Mitarbeitern“. Die „Individualinteressen interner Konkurrenten“, genauso aber auch die „Machtdistanz der rangniedrigeren Mitarbeiter“ verhindern das für ein Unternehmen substanziell wichtige Feedback.[v]

Fazit
Der erste Schritt, um eine offene und auf Effizienzsteigerung ausgerichtete Feedbackkultur zu etablieren, setzt voraus, die genannten Gründe offen zu benennen und anzugehen. Change Management ist hier im doppelten Wortsinne Chefsache.





[ii] Vgl. Robert Kaplan und David Norton: The Strategy Focused Organization. Harvard Business School Press: Boston, Massachusetts 2001, S. 303ff.
[iii] http://www.managerseminare.de/manage_HR_Artikel/Mitarbeiterbefragung-Mehr-als-ein-Stimmungsbarometer,172606
[iv] Ulrike Reisach und Christine Erlach: Kritik mit Humor. Wie offene Kommunikation im Unternehmen gelingen kann. In: Wissensmanagement. Das Magazin für Führungskräfte 6 (2011), S. 17-19, hier S. 18.
[v] Ebd.

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