Wie bleiben Berufsfachschulen veränderungsfähig und wettbewerbsfähig?

Berufsfachschulen: Sechs Mindestanforderungen zur Wettbewerbsfähigkeit[1]
Was benötigen private Berufsfachschulen auf lange Sicht, um bedarfsgerecht auszubilden, Gewinne erwirtschaften und sich zugleich gegenüber ihren Mitbewerbern behaupten zu können? Aus meiner Sicht als Leiter einer Höheren Berufsfachschule müssen sechs Mindestanforderungen erfüllt werden, damit Berufsfachschulen veränderungsfähig und wettbewerbsfähig bleiben.
Die Bildungslandschaft verändert sich einigermaßen rasant. Der demografische Wandel verkleinert die Märkte. Berufsfachschulen stehen nicht nur in Konkurrenz zu Ausbildungen im Dualen System, sondern auch zu staatlichen Universitäten und privaten Hochschulen, die u. a. mit einem hohen wissenschaftlichen Anspruch, aber mit der Verberuflichung der Studiengänge auch mit dem genauen Gegenteil für sich werben. Der Bologna-Prozess hat zu einer Diversifizierung und damit Individualisierung des Studienangebots geführt, so dass praktisch jeder Studierwillige seine Nische findet. Auch die vielbeschworene internationale Wettbewerbsfähigkeit ist in vielen Studiengängen zunehmend integriert. Na ja, manchmal auch nur verbal.
Weltweit ist ein Trend zur Akademisierung der Bildung bei gleichzeitiger Stigmatisierung beruflicher Bildung erkennbar, wobei der „Academic drift“ zur Einrichtung von zwei- bis viersemestrigen Pseudo-Studiengängen geführt hat, die zuweilen das Niveau von Berufsfachschulen kaum überschreiten. Erlangt man denn wirklich akademische Weihen mit Zertifikaten wie „Wedding Planning“ oder „Home and Gardening“, die im US-amerikanischen Studienmodell „Some College“ erworben werden können? Ob sich dadurch die Bildungschancen der Jugendlichen verbessern, darf guten Gewissens mit „nein“ beantwortet werden. Auch die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dürfte durch solche Alibi-Bachelor auf der Strecke bleiben.
Dennoch: Wo bleiben da die Berufsfachschulen mit ihrem Angebot von A wie „Assistent für Automatisierungs- und Computertechnik“ bis Z wie „Zahnmedizinischer Assistent“? Denn anders als die Universitäten unterliegen die Berufsfachschulen starken institutionellen Zwängen und bürokratischen Vorgaben – Berufsbildungsgesetz, Handwerksordnung, bundesrechtlich und landesrechtliche Regelungen. Sie müssen sich finanziell tragen, um am Markt bestehen zu können, und richtig Gewinn abwerfen, um reinvestieren zu können. Denn außer den Kunden ist sonst ja niemand da, der Geld gibt, und Private Public Partnership-Ansätze sind bisher die große Ausnahme.
Wie also können sich berufsfachschulische Ausbildungen gegenüber den Studienangeboten, wie können sie sich gegenüber ihresgleichen behaupten? Wovon hängt ihr Erfolg ab? Was ist überhaupt Erfolg, vom Gewinn einmal abgesehen? Jeder Stakeholder wird hier doch seine höchstpersönliche Definition haben.
Meines Erachtens sind sechs Faktoren ausschlaggebend. In der richtigen Mischung lassen sie hervorragende Ausbildungseinrichtungen entstehen, deren Wettbewerbsfähigkeit sich bereits mittelfristig beweist.

1. Ein überzeugendes Ausbildungsprogramm
Worin liegt der Bedarf an einem berufsfachschulischen Ausbildungsangebot? Warum sollten Schulabgänger ausgerechnet eine berufsfachschulische Ausbildung, für die in der Regel Schulgeld fällig ist, einer Ausbildung im Dualen System vorziehen, für die sie eine Ausbildungsvergütung bekommen? Und sofern sie über Fachabitur oder Abitur verfügen, warum sollten sie sich dann nicht direkt für einen Studiengang entscheiden? Warum sollten gute und motivierte Praktiker als Honorardozenten an eine Berufsfachschule wechseln, wobei ihnen doch klar sein dürfte, dass die Honorarsätze dort nach oben hin limitiert sind? Ohne eine gründliche Wettbewerbsanalyse und Gespräche mit ausgewiesenen Branchenkennern, Berufsverbänden, unabhängigen Experten kann kein Ausbildungsprofil mit einer klaren Botschaft, überzeugenden Inhalten und neuartigen didaktischen Konzepten hinsichtlich der Stoffvermittlung erarbeitet werden.

2. Eine gesunde Finanzierung
Berufsfachschulen müssen sich rechnen. Werden Ersatzschulen wenigstens von den meisten Bundesländern alimentiert, sind Ergänzungsschulen zumeist vollständig auf Ausbildungsgebühren angewiesen, um sich refinanzieren zu können. Mit einer bestimmten Anzahl Auszubildender ist das gesamte zwei- oder dreijährige Programm gegenfinanziert. Erst wenn diese Gewinnschwelle überschritten wird, kann Gewinn erwirtschaftet werden. Aber nicht unbegrenzt, denn die Größe einer Klasse ist nach oben hin begrenzt – und damit eben auch der Gewinn.
Für wissenschaftlichen Anspruch und ähnliche Mätzchen ist daher an den meisten Berufsfachschulen kein Platz, nicht weil sie es – in sehr abgespeckter Form versteht sich – nicht könnten, sondern weil es sich nicht rechnet: Forschung bringt schlichtweg kein Geld. Aber es gibt einen weiteren Punkt, der mindestens genauso relevant ist. Denn anders als Wissenschaft, die es sich leisten können muss, auch einmal zu irren oder einmal eingeschlagene Lösungswege zu verwerfen, um wieder von vorn anzufangen, haben Berufsfachschulen im Interesse ihrer Auszubildenden zu funktionieren. Funktionieren heißt, die Auszubildenden umfassend auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts vorzubereiten. Employability heißt das auf Neusprech. Um die Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, benötigen Berufsfachschulen neben einem klaren Businessplan und einer soliden und innovativen Marketingplanung deshalb eine mittel- bis langfristig gesicherte Finanzierungsgrundlage, die auch einmal eine kleine Ausbildungsklasse verkraftet.

3. Ein auf Beschäftigungsfähigkeit ausgerichtetes Betreuungssystem
Kunden stehen neuen Ausbildungen skeptisch gegenüber. Das ist ein Start-up-Problem, das jede Neugründung kennt. Vor allem Eltern sind besorgt, in eine Ausbildung ohne allzu große Erfahrungswerte zu investieren. Denn wie der Return on Investment ausfällt, steht insbesondere für Laien in den Sternen. Neue Ausbildungen müssen sich erst einmal bewährt haben, um die Aufmerksamkeit von Rentenversicherungsträgern oder der Agentur für Arbeit auf sich zu ziehen, denn deren Förderungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bzw. Bildungsgutscheine gehen zunächst einmal an die bewährten Ausbildungsgänge. Auch müssen Arbeitgeber nicht selten mit allerlei Überzeugungskraft dazu bewegt werden, Praktikumsplätze anzubieten. Das klingt mühselig, und das ist es auch. Langer Atem, ein klares Ausbildungskonzept und eine auf Fakten beruhende Kommunikationsstrategie zahlen sich hier aber aus.
Berufsfachschulen arbeiten unter anderem dann objektiv „ausreichend“ gut, wenn sie binnen sechs Monaten nach Ausbildungsende 70% ihrer Absolventen vermittelt haben. Diese Zahl geistert als so genannte Vermittlungsquote bzw. Verbleibsquote nach wie vor durch die Bildungslandschaft und gilt als Referenzwert, auf den Arbeitsagentur oder  Rentenversicherungsträger achten (obwohl es nach AZWV hierzu keine Vorgaben mehr gibt: die Begründung für die erwartete Vermittlungsquote muss lediglich schlüssig sein).
Ich meine, 70% sind allemal steigerungsfähig. Erst 8 von 10 aktiv vermittelten Absolventen sind eine akzeptable Quote für einen seriösen Bildungsanbieter. Durch sorgfältige Umsetzung des Ausbildungsprogramms, qualitativ hochwertigen Unterricht, gewissenhaftes Matching zwischen dem einzelnen Auszubildenden und dem Praktikumsplatz und ein paar anderen Dingen mehr aus dem Betreuungs-Werkzeugkasten des Bildungsanbieters sollte dies möglich sein. Was in der Branche aber gerne übersehen wird, ist die passende Personalstrategie. Damit meine ich nicht die Auswahl des Lehrpersonals und der sonstigen Mitarbeiter, sondern die Rekrutierung der Auszubildenden selbst. Was bedeutet das? Es ist eine ziemlich einfache Rechnung: 20 Teilnehmer bringen kurzfristig mehr Ertrag als 16. Sind vier Auszubildende aber unmotiviert oder stoßen tagtäglich an ihre intellektuellen Grenzen, können sie den Ruf einer Ausbildungseinrichtung schnell gefährden, z. B. durch schlechte Performance im Praktikum. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie auch noch so schwer vermittelbar, dass sie die Vermittlungsquote in den Keller treiben. Dann ist der Ruf des Bildungsträgers mitunter so nachhaltig beschädigt, dass aus der Rechnung eine Milchmädchenrechnung wird. Daraus folgt, dass eine vernünftige Eignungsdiagnostik bereits bei der Auswahl der Auszubildenden zwingend geboten ist. Gewinnmaximierung ist betriebswirtschaftlich sinnvoll, aber nicht auf Kosten der Reputation. Einmal mehr gilt, dass die alleinige ökonomische Betrachtungsweise einem Tunnelblick gleichkommt.

4. Spezialisierung auf die Kundengruppe
In vielen Berufsfachschulen ist die Zusammensetzung der Ausbildungsklassen sehr heterogen. Das beginnt beim Alter der Auszubildenden (16 bis 50 Jahre), betrifft den Bildungsgrad (Mittlere Reife oder deren Äquivalent, ein Hauptschulabschluss mit erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung, Fachabitur bzw. Abitur und Hochschulabsolventen – alle in einer Klasse!), den Migrationshintergrund, streift die Frage der beruflichen Vorerfahrung (Schulabgänger, Studienabbrecher, Berufsrückkehrer) und endet beim Gesundheitszustand. Das ist nicht ungewöhnlich und spiegelt als schierer Befund zunächst nur einmal die alltägliche Wirklichkeit in vielen Bildungseinrichtungen wider. Okay, der Befund stellt eine Herausforderung dar. Und wenn Schulen spätestens jetzt keine Konzepte hätten, handelten sie sich und anderen schnell allerlei Probleme ein. Besser also, sie haben Konzepte.
Betrachten wir beispielsweise einmal die Gruppe der Rehabilitanden. Klassische Berufsfachschulen haben eine andere Zielgruppe als berufliche Fördereinrichtungen, deren Ziel in der Integration von erwachsenen Menschen mit Behinderungen in den 1. Arbeitsmarkt liegt. Das sind z. B. die Berufsförderungswerke, die solchen Erwachsenen, die aus gesundheitlichen Gründen ihren erlernten Beruf bzw. ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können, Chancen und Perspektiven für einen neuen Start in das Berufsleben eröffnen. Das SGB IX regelt dabei den gesetzlichen Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben.
Nun kann eine Rehabilitationsmaßnahme aufgrund verschiedenster gesundheitlicher Probleme notwendig werden. Ein Bewerber, der aus orthopädischen Gründen umschult, beispielsweise wegen eines erlittenen Bandscheibenvorfalls, benötigt jedoch eine andere Unterstützung, als ein Bewerber, der aufgrund einer schwerer Depression oder eines Helfersyndroms seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann. Klassische Berufsfachschulen müssen bei jedem Bewerber mit gesundheitlichen Einschränkungen daher sehr genau prüfen, ob die Einrichtung zum Bewerber und der Bewerber zur Einrichtung passt, oder ob der Bewerber vielmehr auf die speziellen sozialpädagogischen oder psychologischen Angebote angewiesen ist, die in der Regel nur ein Berufsförderungswerk bieten kann. Dazu gehört dann unter Umständen auch ein an die Zielgruppe und deren eingeschränkte Leistungsfähigkeit angepasstes Ausbildungsniveau. Umgekehrt sollten Berufsförderungswerke daher fairerweise auch überprüfen, ob ihr spezielles Angebot auch für Privatzahler sinnvoll und tauglich ist.
Eine permanente Überforderung des Rehabilitanden kann weder im Interesse dessen noch seines Rentenversicherungsträgers liegen und konterkariert die Intention des SGB IX. Erfolgt der Maßnahmeabbruch, kommt dies alle Beteiligten teuer zu stehen, neben dem Rehabilitanden selbst auch den Bildungsträger und letzten Endes die Solidargemeinschaft.
Umgekehrt unterfordert die permanente Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse eines Leistungsschwächeren die leistungsstärkeren Auszubildenden. Diese sind zunehmend frustriert, weil sie an einer Ausbildung teilnehmen, die sie nicht ausreichend fordert, weil sie aus ihrer Sicht unter ihrem eigentlichen Leistungsvermögen liegt. Brechen sie entnervt ab, wirkt sich dies nicht nur unmittelbar für den Bildungsträger nachteilig aus, sondern ebenfalls auf die Gesellschaft: diese kann sich Bildungsumwege unter den Bedingungen des demografischen Wandels einfach nicht mehr leisten.
Ganz schön komplex, wie das alles zusammenhängt, nicht wahr? Jedenfalls sollte sich ein Bildungsträger bei der Rekrutierung seiner Auszubildenden dessen bewusst sein. Und wohlgemerkt: dies geschieht im Interesse aller Anspruchsgruppen: Privatzahler wie Rehabilitanden, Eltern wie Rentenversicherungsträger oder Agentur für Arbeit. Und nicht zuletzt auch im Interesse des Arbeitsmarktes selbst, für den ausgebildet wird.

5. Ein professionelles und zielgruppenorientiertes Marketing
Unter Einhaltung kurzer Entscheidungswege kümmert sich die Schulleitung um die Belange der Auszubildenden und Honorardozenten und arbeitet eng mit diesen zusammen. Um motivierte, ja begeisterungsfähige neue Auszubildende zu gewinnen, muss die Berufsfachschule alle Register eines modernen Marketings ziehen. Regionale Grenzen spielen dabei keine Rolle mehr, denn die Zielgruppe wird nach anderen als regionalen Indikatoren ausgesucht. Somit kommt sie aus der ganzen Republik und je nachdem, wo die Bildungseinrichtung liegt, ist es auch ratsam, die nationalen Grenzen hinter sich zu lassen.
Und wieder ist die Kundensicht maßgeblich. Ein ansprechender Webauftritt wird durch die Pflege von Social Media und produktspezifischen Plattformen im Netz, durch Messebesuche, Tage der offenen Tür, Schnupperunterricht sowie durch eine individualisierte Begleitung der Bewerber im Bewerbungsprozess umrahmt. Und überhaupt: warum beenden viele Berufsfachschulen die individualisierte Begleitung just in dem Moment, in dem die Auszubildenden den Ausbildungsvertrag unterschrieben haben? Haben sie nicht während der Ausbildung und sogar später noch als Alumni das Recht auf eine maßgeschneiderte Betreuung, etwa die Versorgung mit Arbeitsstellen oder bei der Karriereplanung? Der Ausbildungsleiter oder ein eigens dazu abgestellter Mitarbeiter im „Career Center“ hat Praktikanten- und Arbeitsplätzen für Studierende und Absolventen einzuwerben. Daraus ergeben sich mitunter Impulse, die wiederum als Inhalte für den Unterricht, z. B. in Form von Projekten oder Case Studies, verwertet werden können.

6. Eine kompetente Schulleitung
Dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile ändert nichts daran, dass die Stärke einer Einrichtung immer auch in der Stärke ihrer Individuen liegt: Berufsfachschulen stellen hier keine Ausnahme dar. Jeder engagierte Dozent, aber auch jeder unfreundliche Verwaltungsmitarbeiter wird so zum Aushängeschild der gesamten Einrichtung. Das Profil der Berufsfachschule bildet sich aus der Summe dieser – wahrgenommenen – Einzelleistungen und der Interaktion aller Akteure untereinander. Durch Reibung entsteht Energie. Diese Energie auf ein gemeinsames strategisches Ziel hinzuführen und die gute Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren zu fördern sind wichtige Aufgaben der Schulleitung. Zudem eröffnet dies auch in den starren Grenzen, die ein Rahmenlehrplan zieht, Freiräume, ja Spielräume für innovative und interessante Projekte. Und damit vielleicht auch für Eigeninitiative. Dies ist anspruchsvoll und setzt ein Führungsverständnis voraus, das einen verlässlichen Kurs verfolgt, eine klare und nach innen transparente Zeit- und Ressourcenplanung aufstellt und umsetzt, dabei aber offen ist für Anregungen und Veränderungen. Aus diesem Führungsverständnis heraus und dem ihm zugrunde liegenden Vertrauen gegenüber den Beteiligten der Bildungseinrichtung entstehen Energie und Teamgeist, die eine Berufsfachschule langfristig veränderungsfähig und wettbewerbsfähig halten.

Anmerkung:
[1] Angeregt durch die Lektüre von Markus Baumanns: In fünf Schritten zur Exzellenz. Was brauchen neu gegründete Hochschulen, um sich zu Spitzeneinrichtungen zu entwickeln? Ein Erfolgsrezept. In: Die ZEIT 4 (20. Januar 2011), S. 63.

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